Der Nationalpark Berchtesgaden wurde letztes Jahr von Gästen fast überrannt. Nicht alle zeigten Respekt für die Natur, sagt der Leiter des Parks, Roland Baier, im Gespräch mit OUTDOOR …
OUTDOOR: Herr Baier, statt auf die Balearen strömten die Deutschen im vergangenen Jahr zu Ihnen aufs Land, nach Berchtesgaden – in den einzigen deutschen Nationalpark der Alpen. Es ist abzusehen, dass es wieder so kommt, wenn der Lockdown gelockert wird.
Roland Baier: Ein Nationalpark hat keinen Einfluss darauf, wer ihn besucht. Wir versuchen, die Menschenströme im Schutzgebiet über ein ausgeklügeltes Lenkungssystem zu steuern. In manchen Bereichen gelingt das gut, andernorts gibt es aber zunehmend Probleme.
Seit der Corona-Krise ist allen bewusst: »Der Mensch will raus!« Gerade nach der Zeit des Zu-Hause-verdammt-Seins flieht jeder aus seinen vier Wänden. Neu ist das alles nicht. Wandern ist die mit Abstand beliebteste Freizeitaktivität der Deutschen. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Das Motto der Deutschen lautet: »The mountains are the new beaches!«
Das letzte Mal, als wir das gezählt haben, war im Jahr 2015. Damals waren es 1,6 Millionen – das war ein Plus von 40 Prozent gegenüber der Dekade zuvor, also 2005. Für 2020 haben wir keine genauen Zahlen, aber es steht fest, dass die Menschenmassen die Erholung an manchen Orten und zu bestimmten Zeiten eingeschränkt haben.
Viele Gäste kommen zu uns nach Berchtesgaden, um die Berge, die Seen und vor allem die Ruhe zu genießen. Wenn sie aber drei Stunden warten müssen, um von der Wallfahrtskirche St. Bartholomä am Königssee zurückfahren zu können, Parkplätze suchen müssen oder im Stau stehen, dann ist das nicht ganz ideal. Die Stimmung wird, je länger Touristen an den Sehenswürdigkeiten warten, nicht besser. Eines unserer Ziele ist es aber, dem Menschen Erholungsmöglichkeiten zu bieten. So steht es in unserer Verordnung.
Sie könnten eine Dauerbelastung darstellen, weil durch sie »sensible Pfade, Grasnarben und Fauna leiden und ihr zum Opfer fallen«. Sei die Vegetation erst vernichtet, schwinde die Tierwelt und der Mensch zöge weiter zum nächsten Biotop. Das hört sich nach einem Wanderheuschreckenschwarm an.
99 Prozent unserer Gäste verhalten sich vorbildlich. Diese Botschaft liegt mir am Herzen. Neben diesem Löwenanteil gibt es aber noch Influencer, Instagramer und andere Natur-Konsumenten. Viele von ihnen haben keinen Respekt vor der Umwelt und keinen Anstand gegenüber den Menschen hier im Berchtesgadener Land. Sie kommen, gehen ihren rein persönlichen Interessen nach, lassen den Müll liegen und ziehen wieder ab. Landschaft und Natur sind dabei nur Kulisse.
Das müssen Sie bitte erklären.
Ein Hotspot im Nationalpark ist der wunderschön gelegene Gumpen am Königsbach-Wasserfall über dem Königssee.
… ein natürlicher Pool. Einen offiziellen und ausgeschilderten Weg zu ihm gibt es nicht. Es ist sehr gefährlich, in diesen Gumpen einzusteigen, auf den Trampelpfaden dorthin kann man an mehreren Stellen abstürzen. Aber was machen die Influencer und andere Social-Media-Fans, die für ihre Community Inhalte produzieren müssen und ein tolles Foto suchen? Sie trampeln neue, fast drei Kilometer lange Trampelpfade durch den Wald und treten die Pflanzen nieder. Die Natur ist ihnen völlig egal. Das können wir nicht länger hinnehmen. Schließlich steht im Nationalpark der Schutz der Natur im Vordergrund.
Das sind natürlich nicht alles Stars, sondern meist junge Leute, die Vorbildern nacheifern. Bis zu 400 Leute. Pro Tag. Und es werden mehr. Tendenz: stark steigend.
Vor allem posten sie völlig unreflektiert und ohne Verantwortungsgefühl Bilder von schönen Orten. Sie machen verbotenerweise Lagerfeuer, campieren, lassen Drohnen steigen und zertreten bedrohte Pflanzen. Das ist aber noch nicht alles.
Nachdem sie verbotenerweise im Nationalpark gezeltet haben, lassen sie auch noch ihre Abfälle liegen. Ich fand vor kurzem in diesem Bereich ein Discounter-Zelt und eine Ikea-Tüte. In ihr lagen noch der Billig-Schlafsack und die Essensreste. Die haben weder das Zelt abgebaut noch ihren Schlafsack mitgenommen, sondern alles einfach liegen lassen. Sie haben wohl gefrühstückt und sind dann weitergezogen.
Ja, im Extremfall auch mehr als das. Zwei 21-jährige Männer sind 2019 im Gumpen am Königsbach-Wasserfall ertrunken.
Das Wasser am Wasserfall sprudelt stark und hat mehr Sauerstoff. Dadurch hat der Körper weniger Auftrieb. Hinzu kommt der starke Wasserdruck. Das ist ein schlimmer Schicksalsschlag, zu dem wir den Angehörigen unsere Anteilnahme aussprechen.
Es ist schlimmer geworden. Vor einer Weile postete eine einflussreiche Instagramerin ein Bild von einem »Natural Infinity-Pool« an eben diesem Wasserfall und einen Feigenblatt-Text dazu, wie gefährlich es dort sei. Wir waren erschüttert und sprachlos. An diesem Wasserfall sind im vergangenen Jahr zwei junge Menschen verstorben, und was macht diese Dame mit mehr als 1,2 Millionen Followern? Sie macht ihre Community auf diesen gefährlichen Platz aufmerksam – die Folgen kann jeder erahnen. Dazu lässt sie sich auch noch verbotenerweise mit der Drohne filmen. Was soll ich dazu noch sagen?
Was soll denn noch alles passieren, nur wegen der Selfie-Sucht von ein paar Leuten? Die Gumpen werden im Netz getaggt, gepostet, geliked – am besten gleich live, dass alle mitschauen können. Vielen von den Instagramern ist gar nicht bewusst, was für enorme Reichweiten und welchen Einfluss sie auf junge Menschen haben. Eine 13-Jährige, die so einen schönen Natur-Pool auf Instagram sieht und darin auch mal ein Selfie machen möchte, hat bestimmt nicht die Risikoeinschätzung einer 27-jährigen Schauspielerin und Influenzerin.
Wir haben mit der Dame telefoniert. Einsicht scheint bei ihr eher ein Fremdwort zu sein. Zwar hat sie den Text ganz marginal angepasst, aber das Foto prangt heute noch auf ihrer Seite.
Wir haben die Sache an die zuständige Behörde am Landratsamt weitergeleitet.
So als den klassischen Ranger sehe ich mich jetzt eher nicht. Eher wie einen Ober-Netzwerker.
Es gibt so viele Interessen zu berücksichtigen. Das ist keine leichte Aufgabe. Jeder verfolgt hier primär seine eigenen Ziele: die Einheimischen, die Touristen, die Almbauern, die Waldbesitzer, die Sportler, der Alpenverein die Bergwacht, die Naturschutzverbände, der Jagdverband oder die Hüttenwirte. Spannend wird es, wenn Interessen konkurrieren und die Rücksichtnahme auf den anderen und das Verständnis für seine Belange schwerfallen. Dazu ist ein Klima des Vertrauens notwendig und dass man auf Augenhöhe miteinander reden kann.
Das ist manchmal zu schaffen, aber manchmal auch ein Ding der Unmöglichkeit.
Das würde ich so nicht sagen. Wohl aber: mit unterschiedlichen Sichtweisen. Das ist in der Tat häufig der Fall. Zum Beispiel beim Thema Borkenkäfer. Diesen kleinen Käfer kann man durchaus von verschiedenen Seiten betrachten.
Der Borkenkäfer ist für die Leute, die hier einen Privatwald haben, ein Problem. Sie erwarten von uns, dass wir ihn »managen«. Für die Walddynamik ist er hingegen ein Teil der Natur und ein Antreiber für den natürlichen Waldumbau.
Nein, gar nicht. Wir kontrollieren die Borkenkäfer-Entwicklung mit hohem Aufwand in der Randzone des Nationalparks, um ein Übergreifen auf den Privatwald zu verhindern. Das gelingt sehr gut. Außerhalb dieser Borkenkäfermanagementzone darf sich der kleine Käfer frei entwickeln. In den letzten Jahrzehnten haben wir dabei viel von der Natur gelernt. Vor allem dort, wo wir Menschen nicht eingreifen. Ich sage den Menschen immer, dass sie der Natur mehr vertrauen sollten.
Viele Waldbereiche, in denen der Borkenkäfer unterwegs war, waren Fichtenwälder. Monokulturen, die vom Menschen verändert wurden und wenig mit dem natürlichen Zustand zu tun hatten. Bereits wenige Jahre nach einem Borkenkäferbefall waren diese Bereiche wieder mit jungen, verschiedenartigen Waldbäumen bewachsen. Ganz ohne unser Zutun. Der Käfer wirkt also wie der beste Waldgestalter der Welt: Die Bäume sterben ab, das Totholz ernährt Pilze und Insekten, auf den stark zersetzten Holzresten auf dem Waldboden wachsen dann wieder junge Bäume nach.
Wir haben viel aus dieser natürlichen Entwicklung gelernt und übergeben heute das komplette Wald-Management der Natur. So kann sie sich nach dem Nationalparkmotto »Natur Natur sein lassen« frei entfalten. Auf 75 Prozent unserer Fläche mischen wir uns überhaupt nicht ein, hier kann die Natur machen, was sie möchte.
Ich bin lieber Gestalter als Verwalter. Das motiviert mich. Nationalparke sind nicht nur herausragende Naturschutzgebiete, sondern wichtige Lernorte für Gebiete außerhalb. In den vergangenen Monaten haben wir zum Beispiel mit der Technischen Universität München den Lehrstuhl »Ökosystem-Dynamik in Gebirgslandschaften« gegründet. Sie können sich gar nicht vorstellen, was es hier alles zu erforschen gibt. Vor allem mit Blick auf den Klimawandel, der die Alpen besonders hart treffen kann.
Da gibt es viele. Aber wenn ich so etwas wie einen echten Lieblingsplatz habe, dann hinten am Funtensee.
Das verrate ich doch nicht (grinst). Es geht um Stille, Einsamkeit und Erhabenheit der Alpen. Die sollte man mit seinen Liebsten teilen und nicht mit der ganzen Welt.
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